Опубликовано в журнале Студия, номер 12, 2008
Ein Litauisches Divertisment
AnThomasVenzlova
1. Einführung
Da haben wir ein kleines Land. Bescheiden
Liegt `s an der Küste. Hat seinen eignen Schnee
Und Flughafen und Telefone. Und eigne Juden.
Die Villa des Diktators und eine Statue des Barden,
der Vaterland und Freundin einst verglich.
Das war geschmacklos, ohne Zweifel,
Doch kannte er sein Land. Denn hier besuchen
Am Wochenend zu Fuß die Südler ihre Nördler.
Auf dem Heimweg, beschwippst, geraten sie auch mal
Hinüber zu den Westlern. Das ist ein Thema für Sketche.
So ist’s mit den Entfernungen in diesem Land –
Hier könnten Zwitter leben.
Ein Tag im Frühling. Pfützen, Wolken,
Zahllose Engel auf den Dächern
Zahlloser Kathedralen. Der Mensch
Wird hier zum Opfer im Gedränge,
Dann aber auch zum Teil
Des heimischen Barocks.
2. Leiklos (eine Straße in Vilnius)
Vor hundert Jahren hätte
Man hier zur Welt kommen müssen.
Über dem Federbette
Und all den bunten Kissen
Sich zum Fenster lehnen hinaus
Und glotzen in das Grüne.
Und über dem Nachbarnhaus
Sehen die Kreuze der heiligen Katharine.
Einen Karren mit Lumpen schieben
Durch die gelben Straßen des Ghetto,
Polnische Fräuleins heimlich lieben
Und Schluckauf bekommen von der Lorgnette.
So hätte man leben können
Bis zum ersten Weltkriegsbrand.
Dann in Galizien sterben
Für Volk und Vaterland.
Sonst könnt’ man in anderen Ländern
Versuchen die Romantik:
Die Peis in ein Bärtchen verändern
Und kotzen in den Atlantik.
3. Das Cafe └Neringa“
Durch die Tür des Cafes geht in Vilnius die Zeit,
Begleitet vom Scheppern der Teller und Tassen.
Und der Raum, der beschwippst ist, lächelt breit,
Schaut ihr nach, kann’s einfach nicht lassen.
Ein weinroter Kreis ohne Innenlicht
Steht über den Dächern ganz still.
Und das Kinn spitzt sich zu, als ob vom Gesicht
Zurückbleibt allein das Profil.
Auf des Hechtes Geheiß hört die kleine
Serviererin. Schon sieht man sie kommen.
Sie trippelt herbei und bewegt ihre Beine,
Die von den Schultern eines Fußballers genommen.
4. Das Wappen
Der Drachentöter Georg hat seinen Speer
Verloren in den vielen Sagen, aber er
Hat immer noch sein Schwert und Ross im Spiel.
In Litauen verfolgt er überall
Mit starker Hand und scharfem Stahl
Sein, allen andren unsichtbares, Ziel.
Wen will er mit dem Ross erjagen?
Wen will er mit dem Schwert erschlagen?
Den Feind, der außerhalb des Wappens vor ihm flieht?
Den Heiden? Ketzer? Bösen Mann?
Die ganze Welt vielleicht? Ja dann…
Dann hatte Vitus guten Appetit.
5. amicum-philosophum de melancholia mania et plica polonica
(Titel eines mittelalterlichen Buches, das in der Bibliothek von Vilnius
aufbewahrt wird)
Schlaflosigkeit. Teil einer Frau. Am Fenster – Kribbelkrab.
Die Scheibe klettern hoch Reptilien und fallen in die Ritze.
Der Wahn des Tages fließt vom Hirn herab
Und bilden in dem Nacken eine kalte Pfütze.
Bewegt man sich, kommt das Gefühl,
Als ob ein Jemand in die kalte Masse
Hineintaucht einen scharfen, spitzen Kiel
Und schreibt ganz langsam nur └ich hasse“
In eine Schreibvorlage, wo doch jede Linie krumm.
Teil einer Frau mit Lippenstift lässt Worte flattern,
Die sind so abgeschmackt, so zäh, so dumm,
Als ob man reinfährt mit der Hand in die verlauste Klattern.
Und du liegst da im Dunklen, bloß und nackt,
So wie ein Zeichen aus den Tierkreis – Zodiak.
6. Palangen
Nur das Meer kann schau’n in den Himmel hinein.
Ein Wanderer sitzt in den Dünen. Ein wenig
Benammen trink er seinen Wein
Wie der alte vertriebene König.
Sein Haus ist zerstört, sein Sohn im Versteck,
Seine Herden – ein Opfer dem Raube.
Und jetzt liegt vor ihm dieser einzige Fleck.
Doch über die Wellen zu wandeln
Da fehlt ihm der Glaube.
7. Dominikanai (Dominikaner)
Big von der Fahrbahn ab
In eine Gasse blind und klein.
Da siehst du ein Kostjol,
So gehe da hinein.
Bleib sitzen in der Bank,
Zu dieser Zeit noch leer.
Dann sag ganz leis’
In Gottes Ohr
└Vergib, o Herr“
Vadim Fadin
* * *
Das Band des Seins formt sich spiralig aus,
und häufig ragt ein Februar heraus,
auch wenn von keinem Thron ein Zar gestürzt wird.
Und immer ziehen Winter wieder ab,
die Welt der Holzpalais sinkt mit hinab,
und gleich – es mag vielleicht auch nur ganz leicht sein,
hat irgendetwas Kopf und Herz durchzuckt.
Das Band des Seins ist in die Finsternis gespannt
(nur jemand ohne mindesten Verstand
vermeint, es ließe sich an Strom anschließen).
Das Blut durchpulst die Schläfen heiß,
wenn in die steile Windung voller Eis
der Schlitten einschwenkt. Schnell muß das Gefährt sein,
wenn schnelle Fahrt auch schnell gefährlich wird.
Die Kufen gleiten quer den Winter hin –
und was um Kopf und Herz die einen bringt,
bleibt schlicht für viele andere verborgen.
Gar arme Leben wiederholen sich.
Noch vor dem März ermatte wohl auch ich –
im Winter Unheil mag ein Zufall scheinen,
doch niemals Zufall ist die Form des Seins.
Übersetzt von Dieter Wirth
* * *
Ein Stern winkt vor uns aus der Ferne.
Die Fahrt im Tunnel engt den Blick
auf jene ein, die ihm (dem Glück?)
so wie wir selbst in diesen Tagen
in dichter Schar entgegenjagen.
Voran, voran zum Stern der Sterne!
Du spähst hinaus – in eine Richtung,
ja, eine, stürzt die ganze Welt!
Ein Tor, der sich dagegen stellt.
Doch da das Ziel schon – Lüft- und Lichtung,
Befreiung aus dem Fluchtgedränge.
Vom Sog des Pulks gelöst, siehst du:
auf einen Gegentunnel zu
stürzt eine andre Menschenmenge.
Übersetzt von Ilse Tschörtner
* * *
Erfundenes Leben in historischer Stadt
zwischen Seiten gepreßt – ach, das kann jeder.
Geschändet ward meins von übelster Feder;
was übrigblieb, was nicht paßt ins Format,
dafür brauch ich, bei Gott, mehr Gespür:
schon dringt es durch Fenster, schon lärmt’s an der Tür –
euer Herdengebrüll, ach, wie hab ich es satt!
Ich bleibe im Haus, dem umfriedeten Feld,
mag der Hof auch aufs Meer hinaus treiben.
Man vergas, einen Anker mir zu beschreiben,
in der Zeit, als das Denken von Zäunen umstellt.
Gescheite Chronisten sind am Sammeln unf Sichten:
das Schicksal der Russen füllt ganze Geschichten.
Das Vergessene ist’s, das wohl mir anheimfällt.
Übersetzt von Thomas Böhme
* * *
Erregt lauscht die müßige Dienerschaft jenem Getrommel,
das Freiheit frei Haus ohne Müh- und Gebühren verheißt.
Den Herrn endlich loszusein ist ihr natürlich willkommen,
indes für sie Freiheit bedeutet, in Eile und Fleiß
sein Habe und Gut aufzuteilen im eigenen Kreis.
Befreite, man weiß, sind voll Zuversicht, Mut und Elan.
Und wenn, was geredet wird heute, auf Wahrheit sich gründet,
wird morgen schon ihnen serviert werden auf Porzellan.
(Nicht zufällig ist es dies Bild, das die Geister entzündet.)
Und nur ihres gierigen Streites Gefährlichkeit bindet
den Dienern die Hände noch. Weiteres gilt vorerst nicht,
als sich auseinander- und wieder zusammenzuraufen,
gemäß den Verdiensten aus sogenannt neuerer Sicht
des Herrn Hab und Gut aufzuteilen zu redlichen Haufen.
Mehr braucht eine Dienerschaft nicht, um sich wiederzutaufen.
Übersetzt von Ilse Tschörtner
* * *
Mit doppelter Unruhe zahlen wir für unser Schweigen.
Bei Unwetter sich auf der Woge zu halten ist schwer;
doch wann hat Ertrinken im Meeresschlund je einen Zeugen,
und wer schon eilt forschend auf frischer Spur hinter uns her,
die Damen befragend, die wir einmal zärtlich begehrten?
Ein Hubschrauber nur, dem ein Schraubenblatt abbrach im Steigen,
fliegt schräg wie ein Bumerang über die einstigen Gärten.
Mit doppelter Unruhe rächt sich an uns unser Schweigen.
Wir schreiben nicht über Tschetschenien, meiden zu sagen,
warum wir, Befreite, der Freiheit den Namen verweigern,
auf Frohes als Botschaft des Morgens zu hoffen nicht wagen …
Was heute bestimmt unser Leben – welch bitterer Hohn!
Es ist uns geschehen? Durch wen? – Unsre große Nation
gebiert sich die Unholde selbst, die den Tempel zerschlagen.
Übersetzt von Ilse Tschörtner
Das Vergängliche
Vergänglich ist, höre ich – was zwischen uns sich vollzieht,
die regen Dispute die Nacht über beispielsweise.
Vergänglich ist, hör ich – was zwischen den Träumen geschieht.
Doch treffe ich euch auch im Traum im gewohnten Kreise.
Vergänglich ist, seh ich, Erscheinung und Leib der Geliebten.
Die Schuld daran ist freilich dir allein zuzuschreiben.
Wir scheuen dies Thema in unserm Disput vielgeübten.
Auch ich. Ich verbanne es, um bei Verstand zu bleiben.
Übersetzt von Ilse Tschörtner
Vadim Fadin –