/К шестидесятилетию со дня смерти Герхарда Гауптмана
Опубликовано в журнале Студия, номер 10, 2006
Gerhart Hauptmanns Weg
Mit der umkämpften Uraufführung seines sozialen Dramas ”Vor Sonnenaufgang“ im Oktober 1889 wurde der am 15. 11. 1862 in Salzbrunn geborene Gerhart Hauptmann weithin bekannt und trat an die Spitze der ”schwarzen Realistenbande“, wie Fontane ironisch formulierte. 1892 erschien sein Meisterwerk ”Die Weber“, das noch größere Auseinandersetzungen hervorrief und ihm den Weltruhm brachte. Bis zu seinem Tode entstand ein
gewaltiges Lebenswerk, das Dramen in Prosa und Vers, Romane und Erzählungen, Gedichte und Versepen, Autobiographisches, Reden und Aufsätze umfaßt. Es weist ihn als eine der bedeutendsten poetischen Potenzen und den vielleicht größten Menschengestalter seiner Zeit aus. Hauptmanns Schaffenszeit reicht vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die Herrschaft der Nationalsozialisten bis zum Ende des 2. Weltkrieges. Seine Entwicklung und sein Werk spiegeln wesentliche Tendenzen der deutschen Kunst und Gesellschaft wider und können in hohem Maße als repräsentativ und typisch gelten.Der Sohn eines Hotelbesitzers wuchs zwischen zwei sozialen Ebenen auf, der Welt der vornehmen Gäste und der ”breiten Masse des Volkes“. Er hatte große Probleme mit dem ”Zwang und Kerker“ der Schule. Auf der Realschule in Breslau brachte er es nur bis zur Quarta, wurde dann Landwirtschaftseleve, was sich als ”Sackgasse“ erwies und zu einer Lungenschädigung führte. Auch Bildhauer-Pläne, das Studium an der Breslauer Kunst- und Gewerbe
schule, ein späterer Aufenthalt in Rom (Typhus-Erkrankung) wurden aufgegeben. Nur kurze Zeit studierte er in Jena (Einfluß Haeckels) und in Berlin (hier auch Schauspielunterricht) — im wesentlichen war er Autodidakt.In Berlin hatte er Kontakt zu dem literarischen Verein ”Durch“, einem Sammelbecken oppositioneller, sozial und naturwissenschaftlich orientierte Schriftsteller, wo er sich mit einem Vortrag über Büchner vorstellte. Aus gesundheitlichen Gründen nach Erkner verzogen, unterhielt er sich viel mit ”kleinen Leuten“ und bezog u. a. die sozialdemokratische ”Neue Zeit“. Dadurch fiel er dem dortigen Amtsvorsteher auf, der ihn bespitzeln ließ (siehe ”Der Biberpelz“). Das ”rote Kreuz“ in seinen Polizeiakten stammt indes aus dem sog. Breslauer Sozialisten-Prozeß, wo er als Zeuge aussagen mußte, doch fast wie ein Angeklagter behandelt wurde. Es ging um einen Breslauer Freundeskreis, der sich ”Gesellschaft Pazific“ nannte und das utopische Ziel hatte, in Amerika eine sozialistische Siedlung zu gründen. Der folgende längere Zürich-Aufenthalt (psychiatrische Studien bei A. Forel) war durchaus politisch motiviert.
Die ersten Stücke Hauptmanns und zuletzt ”Die Weber“ waren vom Verein ”Freie Bühne“ uraufgeführt worden, weil sich ihnen die offiziellen Theater verweigerten. Vor allem ”Die Weber“ wurden als sozialdemokratische Tendenzdichtung betrachtet und mußten gerichtlich freigekämpft werden. Hauptmanns Rechtsanwalt wurde von ihm ermächtigt zu erklären, ”daß es ihm völlig fern gelegen habe, mit den ‘Webern’ eine ‘Parteischrift’ zu verfassen“, daß ”die christliche und allgemeinmenschliche Empfindung, die man Mitleid nennt“, ihn bewegt hätten. Die objektive Wirkung dieses ersten deutschen Dramas über revolutionäre Proletarier war jedoch kämpferisch und aktivierend, wie die herrschenden Kreise wohl verstanden. Der Kaiser kündigte seine Loge im ”Deutschen Theater“, der Gerichtspräsident, der die Freigabe veranlaßt hatte, mußte abtreten. Die sog. Umsturzvorlage von 1894 nach einem Attentat auf den französischen Präsidenten, bei der ”Die Weber“ nach Fontane ”halb und halb als Fundament… genommen wurden“, bedrohte Buch und Aufführungen. Auch Hauptmann beteiligte sich an einer ”maßvollen“ Petition gegen diese Bedrohung des ”deutschen Geisteslebens“ und sammelte Unterschriften dafür — so bei G. Freytag.
Hauptmanns Kritik an der Enge und Ungerechtigkeit der damaligen Verhältnisse, die vor allem im dramatischen Frühwerk von aggressiver Direktheit ist, war jedoch stets eine Kritik von innen, vom Standpunkt des Dazugehörenden. Das große Gedicht ”Im Nachtzug“ enthüllt sein poetisches Programm: ”Beuge dich nieder zum Herzen der Armen“ und singe ”das Lied von unserem Jahrhundert“. Bei Kenntnis seiner Jugendversuche und der frühen Gedichte konnte auch das Auftreten von Versdramen und romantischen Themen nicht überraschen — damit fand eine immanente Seite von Hauptmanns Begabung Gestaltung. Franz Mehring, der über ”Hanneles Himmelfahrt“ schrieb: ”Wir sind noch niemals verurteilt gewesen, einen so großen Mißbrauch eines so großes Talentes“ zu sehen, fand Hauptmanns scharfe Zurückweisung (er verglich ihn mit einem ”trillernden Unteroffizier“). Aber auch jede Art von Interessendichtung lehnte Hauptmanns ab. Seine Stücke bewegen ”Gestalten gegeneinander, von denen jede mit ihrer besonderen Art und Meinung vollauf berechtigt ist“, das Drama ist für ihn ”keineswegs eine richterliche oder gar Henkersprozedur.“
Nachdem sein historisches Schauspiel ”Florian Geyer“ bei der Premiere 1896 eklatant durchgefallen war (”Das deutsche Nationalgefühl gleicht einer gesprungenen Glocke, ich schlug mit dem Hammer daran, aber es tönte nicht“), errang er mit dem Märchenspiel ”Die versunkene Glocke“ wieder einen großen (freilich nicht bleibenden) Bühnenerfolg. Der Reisebericht ”Griechischer Frühling“ von 1908 konzentrierte sich weniger auf die Vergangenheit als auf Natur und Menschen des Landes (”Was wäre ein Dichter, dessen Wesen nicht der gesteigerte Ausdruck der Volksseele ist“). Nach langjährigen Vorarbeiten wurde 1910 der Roman ”Der Narr in Christo Emanuel Quint“ abgeschlossen, Hauptmanns episches Hauptwerk, das seine dominierende Stellung in der deutschen Literatur festigte. Es ist eine blutige Satire auf die moderne Gesellschaft (R. Luxemburg), in der echte christliche Religiosität nicht möglich ist und des Menschen Sohn erneut gekreuzigt würde. Die Berliner Tragikomödie ”Die Ratten“ (1911), eines seiner wichtigsten Dramen, signalisierte wie auch der Roman ”Atlantis“ (1912) den morbiden Zustand des Kaiserreiches, seinen offensichtlich unvermeidlichen Untergang. Anläßlich der Verleihung des Nobelpreises 1912 erklärte Hauptmann, er habe niemals einer politischen Partei angehört und werde es auch nie, aber er betrachte als als absolut notwendig, ”daß die Arbeiter zahlreich im Parlament vertreten sind“. In seiner Dankrede bekannte er sich zum Ideal des Weltfriedens als höchstem Sinn des Nobelpreises. Nach einigem Zögern nahm Hauptmann den Auftrag des Breslauer Magistrats an, zur Hundertjahrfeier der Befreiungskriege ein Festspiel zu schreiben. Die Aufführung dieses als Puppenspiel angelegten Werkes, das nicht die Fürsten glorifizierte, sondern die Volkserhebung feierte und die Segnungen des Friedens, führte zu einem erneuten Zusammenstoß mit der Monarchie. Auf Veranlassung des Kronprinzen wurde es abgesetzt, eine Welle von Wut und Haß erhob sich, es gab aber auch entschiedene Proteste gegen die Vergewaltigung des Dichters und Solidaritätsbekundungen mit ihm.
Der Ausbruch des 1. Weltkrieges fand Hauptmann unvorbereitet, vorübergehend ließ auch er sich von der offiziellen Kriegsbegeisterung anstecken und schrieb z. T. peinliche patriotische Verse. Als ihn R. Rolland wegen des Überfalls auf Belgien und der Beschießung von Kulturdenkmälern zum Protest aufforderte, beharrte er auf einem nationalistischen Standpunkt und stellte Menschenleben über Kulturgüter. Doch schon bald korrigierte er sich, formulierte in Tagebuchnotizen seinen Abscheu und seine Friedensliebe, forderte eine gemeinsame tiefkulturelle Friedensarbeit mit Frankreich, sprach sich entgegen chauvinistischer Hysterie für Shakespeare-Aufführungen aus. In Zorn und Trauer arbeitete er an Dramen über Schuld und Verbrechen (”Winterballade“, ”Magnus Garbe“, ”Der weiße Heiland“).
Die Weimarer Republik hat Hauptmann von Anfang an begrüßt und sich in vielen Reden und Aufsätzen für die nationalen Belange und die Idee der Humanität eingesetzt (Sammelband ”Um Volk und Geist“). Freundschaftliche Beziehungen verbanden ihn mit W. Rathenauu und F. Ebert; er galt bald als geistiger Repräsentant des nachkaiserlichen Deutschland. 1921 mußte er das Gerücht dementieren, daß er als Reichspräsident kandidieren würde. Gorkis Hilferuf wegen der Hungersnot an der Wolga beantwortete er positiv, unterstützte die Hilfsaktionen, lehnte den “Bolschewismus” jedoch ab (”Verflucht jede Diktatur“). Mit Sorge erfüllte ihn die innere Schwäche der Republik, die Ermordung Rathenaus erschütterte ihn. Zur nationalen Feier seines 60. Geburtstages hatte Ebert aufgerufen, Hauptmann erhält den Ehrenschild des Deutschen Reiches, 1929 wird er in die Friedensklasse des Ordens ”Pour le mérite“ gewählt. Nach anfänglicher Ablehnung trat er der Preußischen Akademie für Dichtkunst bei, wandte sich gegen Gesinnungsterror und Unterdrückung der Kunst, protestierte gegen das sog. Schmutz- und Schund-Gesetz (1926), gegen die Kulturschande des Antisemitismus (1930). Die Wirren der Nachkriegszeit sind gespiegelt in Hauptmanns barockem Terzinen-Epos ”Till Eulenspiegel“, die gesellschaftskritische Linie seiner Dramatik ist fortgeführt in ”Herbert Engelmann“, ”Dorothea Angermann“ und ”Vor Sonnenuntergang“ (63 Inszenierungen 1932). Zum 100. Todestag Goethes reiste Hauptmann in die USA, hielt Vorträge, ließ sich feiern und erklärte im Interview: ”Hitler ist ein Experiment. Deutschland kann sich solche Experimente nicht leisten.“ Zu seinem 70. Geburtstag erhält er die Goethe-Medaille und den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt, die Goldene Preußische Staatsmedaille zweimal: von der verfassungsmäßigen und von der kommissarischen Regierung. Zwei Herzattacken im August 1932 mahnten ihn, nicht weiter ”aus dem Vollen“ zu leben, nur so könnten ihm ”doch noch einige Jahre beschieden sein.“
Als die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland begann, glaubte Hauptmann, wie ja auch gestandene Politiker, daß es bald vorüber wäre. Eine Trennung von der Heimat hätte für ihn das literarische Verstummen, vielleicht sogar das physische Erlöschen bedeutet. Er kehrte aus Italien zurück, als viele Künstler, die Verfolgung fürchten mußten oder das NS-System leidenschaftlich ablehnten, aus dem Lande gingen. Aber er ahnte. ”Mit dem Brande des Reichstagsgebäudes… schließt das Deutschland ab, in dem ich seit 1862 gelebt habe“ (Tagebuch 1. 3. 1933). Bald zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück, eine Zeit seelischen Leidens und tiefer Vereinsamung begann. Hauptman machte Zugeständnisse, doch ließ er sich nicht gleichschalten, verriet die humanistische Konzeption seines Werkes nicht, unterschrieb keinen Aufruf gegen Th. Mann und keine Loyalitätserklärungen für Hitler. Als A. Kerr aus dem Exil einen fast biblischen Fluch gegen ihn schleuderte, verzichtete er auf jede Erwiderung. Den Machthabern war er verdächtig und verhaßt. Sie nutzten ihn als Aushängeschild, unterbanden oder bremsten öffentliche Wirkung und Ehrung. Über die heimliche Totenfeier für seinen jüdischen Freund Max Pinkus, an der er teilgenommen hatte, schrieb er den anklagenden Einakter ”Die Finsternisse“, der erst postum erscheinen konnte. In ”Der Schuß im Park“ und ”Hamlet in Wittenberg“ verletzte er den faschistischen Rassenkodex, in seiner Autobiographie ”Das Abenteuer meiner Jugend“ (1937) formulierte er konzessionslos seine humanistischen und demokratischen Grundlagen. In der ”Atriden-Tetralogie“ werden hinter den ”Masken der Blutwelt der Antike“ (Th. Mann) Eroberungssucht und Barbarei verurteilt. Für die Werkausgabe letzter Hand in 17 Bänden, 1942 zum 80. Geburtstag erschienen, verweigerte Goebbels deutsches Papier, es mußte aus Amsterdam beschafft werden, gefeiert werden konnte nur in Breslau und Wien.
Die Front rückte bereits näher, als Hauptmann im Feburar 1945 wegen Erkrankung seiner Frau nach Dresden gefahren war, wo er die vernichtenden Luftangriffe erlebte (”Klage um Dresden“). Danach wurde der rüstige Mann zum Greis. Dem Wiesenstein wurden von sowjetischer und polnischer Seite Schutzbriefe ausgestellt. Im Sommer überstand Hauptmann zwei Lungenentzündungen. Beim Besuch einer sowjetisch-ostdeutschen Delegation nahm er die Ehrenpräsidentschaft des ”Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ an und richtete eine Botschaft an das deutsche Volk, in der er seinen festen Glauben an Deutschlands Auferstehung und allgemeine Wiedergeburt ausdrückte. Als die Deutschen aus Schlesien vertrieben wurden, konnte auch Hauptmann nicht bleiben — er würde gehen ”die Füße voran!“, erklärte er Gerhart Pohl knapp zwei Monate vor seinem Tode am 6. Juni 1946 in Agnetendorf. Im letzten Brief an W. A. Reichart (USA) steht: ”Es steckt Ungehobenes in meinem Werk, das der Gegenwart und zukünftigen Zeit viel, viel helfen kann.“