Опубликовано в журнале Студия, номер 7, 2003
1959 war ein heißer Sommer, man konnte sich durch Kiel vorwärtsriechen, denn der Weg zur Universität führte morgens an Gärten vorbei, doch am deutlichsten erinnere ich mich an die vielen Kinobesuche und den Duft von Samt und feinverteiltem Staub, der im Lichtkegel der Vorführapparate auf- und niederstieg, durchmischt von dunstiger Körperwärme. Die Filme berichteten in immer anderen Kostümen von Tod und Vergangenheit; damals kam es mir vor, als wurden die Augen mit der Zeit abgenutzt, man mußte sie zumachen, um überhaupt etwas zu sehen; ich hörte Ritter ihre Eisenhelme öffnen und Gladiatoren Brustkorb an Brustkorb atmen; nein, die einzig annehmbare Beschäftigung war, mit dem rechten oder linken Bein nach dem Schenkel einer Unbekannten zu tasten. Denke ich zurück, treten Bilder hervor; für die Tiefe der Zeit und darin eingesunkene Wörter habe ich offenbar kein Gedächtnis; je entschlossener ich mich auf die Suche à la Proust begebe, desto stärker muß ich begreifen, wie schwer das Erinnern vorankommt, zu massiv hatten sich Blendwerke vor die Wirklichkeit geschoben und mein Leben mit dem Augenblick verschmolzen. Wenn im Kino der Vorhang fiel, glitzerte der Boden von den Deckenlampen matt wie Eis; es war schön, wieder in die frische Luft hinauszutreten, und amAbend ließ ich mich mit den Leuten über das Hindenburg-Ufer treiben; das Holz der Stege, wo die kleinen Schiffe anlegten, fühlte sich im Dunkeln warm von der Sonne an. Um mich nicht mustern lassen zu müssen, waren die Eltern damit einverstanden, daß ich für den Winter nach Wien wechselte. Wenige Wochen nach meiner Ankunft fand sich an einer Hörsaaltüre die mit
Hans Dieter Schäfer, 1939 in Berlin geboren, unterrichtet an der Regensburger Universität Literaturwissenschaft. Dissertation über Wilhelm Lehmann, Herausgabe seiner «Sämtlichen Gedichte». Viel diskutiert wurden seine Bücher «Das gespaltene Bewußtsein. Über deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933-1945» und «Berlin im Zweiten Weltkrieg». Er veröffentlichte mehrere Lyrikbände, darunter «Fiktive Erinnerungen», «Dem Leben ganz nah», «Final Cut», autobiographische Aufzeichnungen sowie zahlreiche Essays, darunter «Herr Oelze aus Bremen. Gottfried Benn und Friedrich Wilhelm Oelze» und «Avantgarde als Werbung und Geste der Langen Fünfziger Jahre oder Hölderlin im Turm» (letzteren in «Text + Kritik», Sonderband 2001).
Die autobiographische Prosa (ein Auszug) und die Gedichte entnahmen wir den Bänden «Wie ich mit meinen Ausgrabungen begann» und «Spät am Leben» (beides Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn 1998 und 2001). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Schreibmaschine getippte Frage Was ist modern an der modernen Lyrik? Der Zettel warb für eine Veranstaltung, die Wieland Schmied außerhalb der Universität anbot; ich war der einzige Student, der sich in den kleinen Kreis verirrt hatte. Wir trafen uns jeden Montag, um einige Cantos von Pound zu lesen und hörten von seiner Erschöpfung. «Ich bin nicht mehr wach genug zum Schreiben», habe er vor wenigen Monaten auf der Brunnenburg gesagt. Einmal schneite es ununterbrochen; nach einer der Zusammenkünfte saßen die Straßenbahnen fest, so daß ich zu Fuß nach Hause gehen mußte; es war in der Stadt ruhig wie noch nie, der Schnee knisterte so laut, daß ich erschrak; die Autos sahen wie auf der Flucht zurückgelassen aus, und hoch oben unterhielten sich zwei Frauen über die Straße hinweg aus hellerleuchteten Fenstern. Während ich mir mit aufgeknöpftem Mantel einen Weg durch den Schnee bahnte, grübelte ich darüber nach, warum der Dichter außerhalb der Anstalt verstummt war, in welche ihn die amerikanische Regierung bis 1958 zusammen mit kriminellen Geisteskranken eingesperrt hatte. Von Pound besitze ich nichts als die Erinnerung an Erinnerungen, und ich stehe heute noch ziemlich ratlos vor den Cantos. Wenn ich an den Dichter denke, erscheint seine Gestalt, wie sie uns Wieland Schmied von seinen Besuchen auf der Brunnenburg beschrieben hatte: Ein Mann in weinrotem Hemd, Shorts und Sandalen, mit Schirmmütze und kleinem weißem Bart, und ich erinnere mich an seine Gewohnheit, den Kopf im Sessel zurück auf eine Stütze zu lehnen. Die Universität hat nur ein paar Eindrücke haften lassen; die vielen Leute in den Veranstaltungen zwangen einen, Gespräche mit sich selbst zu führen. Jetzt höre ich Moriz Enzinger mit seinem grünen Schal ganz winzig auf dem Podium des Audimax in das Mikrofon reden, er warf schattenhafte Lichtbilder an die Wand, die Stifters Rosenhaus zeigen sollten. Aber ich fand auch noch Inseln urbaner Intimität vor. Als bei den Theaterwissenschaftlern in der Hofburg die Katze der Sekretärin einen Knopf von meiner Jacke heruntergezupft hatte, nähte ihn der Institutsdirektor eigenhändig wieder an; und bei der Latein-Zusatzprüfung unterbrach der Philosoph Kainz meine haarsträubende Cicero-Übersetzung, um zu fragen, weshalb ich auf der Schule keine alten Sprachen gelernt hatte; wir unterhielten uns auf deutsch über römische Politik und zu meiner Überraschung bekam ich das Zeugnis. Wien selbst war voller Bilder, die einander jagten, doch lange sah ich die Stadt mit blinden Augen an; ich fühlte mich ausgeschlossen, bis ich in einem Antiquariat ein Buch von Peter Altenberg in die Hand bekam. Mit welcher Sympathie lernte ich, mit seinen Augen auf die Epoche vor dem Ersten Weltkrieg zurückzuschauen, die gleichzeitig lebensvoll, elegant und so untergründig verrottet war! Nach der Lektüre von Wie ich es sehe fand ich mich in der Stadt besser zurecht, weil Altenberg eine Häuser- und Baumreihe oder die Menschen auf der Terrasse am Graben untrennbar mit dem Sonnenuntergang verbunden hatte. Ich stand damals ganz unter seinem Einfluß und begann wie er, Licht durch das Grün der Ringstraßenbäume zu studieren und sowohl Düfte wie Geräusche als Vermittler zu entdecken, so daß ich glaubte, La Zarina beim Wegfahren eines Fiakers die Stufen zum Ronacher hochsteigen zu sehen. Jemand aus unserem Kreis erzählte, daß Altenberg vor Schlaflosigkeit in einer Regenpelerine mit weitausgestreckten Armen nachts durch die Straßen zu lärmen pflegte; von einer Streife angehalten, habe er sich beim Polizeipräsidenten beschwert, um von ihm einen Schutzbrief ausgestellt zu bekommen: «Hiermit erlaube ich Herrn Peter Altenberg, nach Einbruch der Dunkelheit in Wien Flugversuche zu veranstalten.» Die Anekdote kam mir lange bloß komisch vor, doch heute ist sie für mich das Erkennungszeichen einer Macht, für die es noch nicht zur Institution gehört hatte, mit ihren Außenseitern wie mit Verbrechern umzugehen. Weil Altenberg über die Fahrt in einem neuen Automobil, die Zigarettenmarke Princesse Egyptienne oder eine Kopfhautmassage schreiben konnte, versuchte auch ich, ein typisches Alltagserlebnis darzustellen und griff nach einer Nachtstimmung im Volksgarten mit dem hellen Quietschen eines Karussells und dem Duft gerösteter Kastanien, doch die Eindrücke entzogen sich, sobald ich sie zu Papier bringen wollte; es fehlte offensichtlich das Erlebnis des Lebens selbst, dessen Quellen Steine fest verschlossenhielten.
Als ich Ende des Sommersemesters nach Kiel zurückging, steckte ich in einem lähmenden Durcheinander. Vermutlich wäre ich aus diesem Zustand nicht so schnell herausgekommen, wenn mir dabei nicht zwei Lehrer geholfen hätten, beide waren fast fünfzig Jahre alt und hatten die letzte Sprosse der akademischen Leiter nicht geschafft; von ihren Forschungen her mochten sie nicht zur ersten Reihe gehört haben, aber sie stellten ihren Ehrgeiz hinter die Stoffe zurück und nahmen die Studenten ernst. Hauser hatte einen Schiffstick; manchmal verbrachten wir die Seminare in der Veranda einer Gaststätte am Nordostsee-Kanal, um uns abends die Tische auf die Wiese stellen zu lassen; noch heute höre ich seine Stimme «Schwede» durch einen Vortrag hindurchrufen oder «Dort kommt ein Pole», was lange Schweigepausen zur Folge hatte. Pünktlich beendete er die Sitzungen; übrigens erinnere ich mich, daß er danach sofort Holsteinbier bestellte; die Rückfahrt in die Stadt hatten wir mit VW-Käfern gut organisiert, und es konnte vorkommen, daß die Zusammenkünfte bis nach Mitternacht am Hafen in der Insel des Südens fortdauerten. Damals setzte Hauser ein Abenteuer in Gang, das mich über weite Teile meines Lebens in Atem halten sollte. Schon lange hatte ihn der Plan gelockt, die Amerika-Berichterstattung in der Weimarer Republik zu dokumentieren. Es war Zufall, daß ich zu denjenigen gehörte, die im Institut für Weltwirtschaft eine Tageszeitung durchzuarbeiten hatten. Das Ganze war nicht gut ausgedacht; im Grunde hätte eine verantwortungsvolle Untersuchung mehr als ein Jahr gedauert; verwegen bestellte ich alle Jahrgänge des Berliner Börsen-Courier und erinnere mich an meine Verwunderung, als mir der Offiziant in zwei mächtigen, arg mitgenommenen Bänden die ersten beiden Monate hinschob. So lange wie möglich vergrub ich mich in die Blätter, die nach Moder rochen und mit all den Artikeln unter verschnörkelten Überschriften und Fotos wie aus Asche blutige Episoden freigaben; vom Bürgersteig her sah ich Kolonnen im Dauermarsch durch Berlin hetzen, während die anderen abgehackte Lieder sangen, lebte ich mit allen Poren und glitt im Faltboot an Fabriken vorbei zum Wannsee, um mich in einem Schilfgürtel von Wasser auslaugen zu lassen oder ich folgte einem Spätsommerabend in ein Jazz-Restaurant und glaubte, in den Synkopen Maschinenstampfen und den Schritten von Urwaldtieren zu lauschen. Vor mir lag wie unter einem Firnis die Kultur, um die sich die Redakteure sorgfältig bemüht hatten wenige Jahre, bevor sie niedergetrampelt wurde. Nirgendwo bisher sehnte ich mich so aus meiner Welt heraus wie beim Wühlen in dieser Zeitung. Hier war ein Musikstück von Hindemith besprochen, dort ein Buch von Brecht … Doch die Hauptursache der Faszination lag wohl darin, daß diese Stimmen fast bis zum Jahr meiner Geburt hinüberreichten. Das Referat schrieb ich in einer Woche, und mit dem Vortrag war Hauser zufrieden. Wie oft habe ich seither in Bibliotheksräumen vor ähnlich vergilbten Seiten gesessen, die beim Umblättern an den Rändern einzureißen drohten! Zur Belohnung fuhr ich nach Berlin zu einem Freund, der dort Theaterwissenschaft studierte, wir verbrachten viele Stunden in Kneipen und Cafés, einmal pilgerten wir zu Benns Haus; klarer als die Gedenktafel behielt ich die Einschußlöcher in Erinnerung und zusammen mit den Bruchstücken von Gedichten, die mir einfielen, und der Wasserpumpe aus Eisen konstituierten sie für Augenblicke den Schimmer einer anderen Zeit. Erst Wodtke half, diese Träumereien mit dem Leben zu verbinden. Seine Stunden bestanden aus praktischen Erklärungen, weitschweifigen Zitaten und Geschichten, die nichts mit dem Unterricht zu tun hatten; gern kleidete er sich in einen graublauen Anzug und hatte die Angewohnheit, in die Bücher hunderte von Lesezeichen zu stecken. Ich muß ehrlich zugeben, daß mir seine Art gefiel, weil er Türen zu einer Vielzahl «kleiner» Schriftsteller öffnete, gerieten wir zuweilen in ein Labyrinth, nicht ohne den Schwindel vor unseren Augen zu genießen. Auf diese Weise zog Wodtke mehr Hörer in seinen Kreis, als in Kiel Germanistik studierten; damals fing der berühmte Goetheforscher an, ihn mit ungünstigen Vorlesungszeiten und schlechten Hörsälen zu quälen; ich sah, wie seine vom Institut nicht genehmigten Anschläge vom Brett entfernt wurden. Als man ihm einen Raum für den Lektürekurs verweigerte, wichen wir in den Gemeinschaftssaal des Evangelischen Studentenheims aus, gern denke ich an die Nachmittage zurück, an denen wir Bobrowskis Gedichte und Uwe Johnsons Mutmaßungen diskutierten. Oder wir fuhren mit einem der Schiffe von der Anlegestelle Düsternbrook hinüber nach Heikendorf und lasen am Strand in einer Sandburg aus Celans Sprachgitter. Wodtke begann wegzutauchen. Um ihn von Gastaufenthalten an amerikanischen Universitäten wieder nach Kiel zu locken, veranstaltete ich eine Unterschriftenaktion, doch trotz breiter Zustimmung verweigerte das Ministerium Gespräche über die schiefe Lage, in der er sich befand. Damals, 1964, erfuhr ich von Wodtkes erstem Nervenzusammenbruch.
Es kam so weit, daß er mit langen Haaren, in Sandalen durch die Stadt irrte, auf seinem roten Hemd pendelte ein Panther aus Blech, er wohnte auf einem Schiff in einer Kommune; als Beweis seines Vorlebens trug er eine kleine englische Benn-Ausgabe in der Hosentasche, die er herausgegeben hatte, einmal zeigte er sie mir auf der Holstenstraße, sie warf Wellen und mußte ihm ins Wasser gefallen sein. Ein anderes Mal versetzte er mich durch die Einladung zu einer Party in Schrecken; wir trafen uns während einer Konzertpause im Foyer des Schlosses; zwar trug er den Anzug von früher, doch sein Gesicht war aufgequollen, und über das unrasierte Kinn glaubte ich, Speichelfäden fließen zu sehen. Das Gespräch verlief zäh und drehte sich meist um Benn; wenn er nur in der Universitätsbibliothek ein Zimmer bekäme, würde er alle Gedichte der Entstehung nach systematisch interpretieren. In seinen Augen bemerkte ich eine dumpfe Unruhe. Als ich Ende der siebziger Jahre auf einer Fahrt nach Dänemark in Kiel Station machte, fand ich in einem Antiquariat Teile seiner Bibliothek: Erstausgaben von René Char, Saint John-Perse, ein paar Kataloge aus Südfrankreich _ ich hatte Scheu, die Bücher zu kaufen und zu meinen eigenen zu stellen.
Weil ich Pound gegen Angriffe Heißenbüttels mit einem Leserbrief in Schutz genommen hatte, holte mich Wodtke in sein Doktorandenseminar; ich war damals zweiundzwanzig; auf die Frage, worüber ich promovieren wolle, fielen mir «Blaugrüne Diemen, wigwamrund» von Wilhelm Lehmann ein, die mir irdisch-abstrakt vorkamen und an Indianerspiele erinnerten. Als sei es gestern gewesen, sehe ich den Dichter bei meinem ersten Besuch in Eckernförde an seinem Schreibtisch sitzen. Er war damals gerade achtzig geworden, wirkte jedoch erstaunlich jugendlich; temperamentvoll sprang er mehrmals während des Gesprächs auf, lief im Zimmer umher oder zog ein Buch aus dem Regal; sein Gesicht war frisch gerötet und stand in Kontrast zu den weißen aufgebauschten Haaren; die Gestalt war schmal, leicht und in einen hellgrauen Anzug mit roter Weste gekleidet. Das Arbeitszimmer duftete nach Blumen und schweren Zigarren; rechts vom Fenster befand sich ein Rollschrank mit kleinen Schüben für Zeitungsbelege, daneben ein Bord, auf dem ich die blaue Gesamtausgabe entdeckte, die gerade bei Sigbert Mohn erschienen war, «mein Mausoleum» nannte sie Lehmann. An der Wand hing ein gerahmtes Foto von Oskar Loerke; wenn man sich zur Türe wandte, konnte man das von Josua Reichert schön gedruckte Gedicht Winterliches Vogelfüttern lesen; vergeblich hatten wir ein paar Mal über die Bedeutung der Namen Singenberg, Landegg und Göli gegrübelt. Den tiefsten Eindruck machte auf mich das Durcheinander von Zeitschriften und Manuskripten, die große Teile des Perserteppichs, die meisten Stühle und das Sofa besetzt hielten; es war schwindelerregend, unter einem Heft der Novelle Revue Francaise von 1925 die jüngste Nummer der Neuen Rundschau hervorlugen zu sehen; als Lehmann für kurze Zeit nach draußen gegangen war, schlug ich die Argonauten von 1915 auf und fand einen Satz über Negerplastik angestrichen: «So sollen jetzt in Wien mehrere Meter hohe Gruppen aufgestellt sein, welche die Begattung zwischen Insekten und Menschen darstellen, alles grell bemalt.» Auf dem Schreibtisch lagen zwischen Briefstapeln und Zeitungsausschnitten Schneckenhäuser, Versteinerungen; ich erkannte allerlei geschnitzte Tiere und Abgüsse von Grabbeigaben; an die Fensterscheibe schmiegte sich das weinrote Gesicht einer Amaryllis; ja, und wenn ich an das Zimmer zurückdenke, scheint es, als ob alle Gegenstände dunkel einer Vergangenheit entgegenwuchsen, nach deren Boden ich seit Jahren auf der Suche war. Bei Lehmann war alles Gespenstische weggewischt; ich denke daran, wie er die mitgebrachten Tulpen befühlte und, von Zigarettenrauch eingehüllt, erklärte, daß das Mythologische in seinen Gedichten so wahr sei wie die Pflanzen darin. Als Person wußte ich mich von ihm warm aufgenommen; wenn das Gespräch auf bestimmte Menschen kam, konnte er sich begeistern, nicht weniger heftig drückte er seine Ablehnung aus; Tränen traten ihm in die Augen, als er einmal etwas von einem Lehrer aus Wickersdorf vorlas, der im Krieg gefallen war. «Ernst Jünger», höre ich ihn sagen, «interessiert sich nur für Schmetterlinge, wenn sie tot sind.» Lehmann haßte alles Militärische und berichete, daß er nach einem gescheiterten Angriff Anfang September 1918 im Niemandsland umhergeirrt sei, um zu den Engländern überzulaufen. Gern zitierte er einen Satz von Novalis: «Aus einem Menschen spricht für dieses Zeitalter Vernunft und Gottheit nicht vornehmlich, nicht frappant genug _ Steine, Bäume, Tiere müssen sprechen, um den Menschen sich selbst fühlen, sich selbst besinnen zu machen.» Ein anderes Mal erzählte er von Benns «Fischaugen» und empfand ihn seit einer Zusammenkunft in Knokke 1952 «handelsmannsartig», die Frage, wieviel im Gedicht Chopin vom rein Poetischen wirksam geworden sei, habe Benn mit dem Hinweis auf das Lesen von Biographischem beantwortet. Die Montage vorgefundener Satzfragmente ging Lehmann gegen den Strich; «von den Dingen zur Sprache, nicht umgekehrt, nicht mallarméisch», lautete eine seiner Sentenzen, doch bei allen in die Gedichte heimgeholten Vögeln, Bäumen und Pflanzen war Verehrung und Heiligenpflege am Werk. Wenn Lehmann vorlas, hob er leicht die helle Stimme, und es konnte vorkommen, daß er Eigennamen für einen Augenblick kurz ausdehnte, noch höre ich die kleine Pause, die er nach dem ersten Satz von Mond im Januar einlegte, um das «Da schwebt er» als Ergebnis einer magischen Handlung zu akzentuieren:
Ich spreche Mond. Da schwebt er,
Glänzt über dem Krähennest.
Einsame Pfütze schaudert
Und hält ihn fest.
Der Wasserhahnenfuß erstarrt,
Der Teich friert zu.
Auf eisiger Vitrine
Gleitet mein Schuh.
Von Bretterwand blitzt Schneckenspur.
Die Sterblichen schlafen schon _
Diana öffnet ihren Schoß
Endymion.
Als ich das Schoßöffnen Dianas als Verstoß gegen den klassizistischen Sittenkodex rühmte, schlug Lehmann die Götterlehre von Karl Philipp Moritz auf und zeigte mir eine Stelle über den schlummernden Endymion: «Man sieht auf Marmorsärgen, welche die Asche früh verblühter Jünglinge umschlossen, den glücklichen Schläfer abgebildet, wie Diana auf ihrem Wagen zu einem Kuß sich herniedersenkt.» Doch das ist eine Erinnerung an eine relativ späte Begegnung. Zunächst versuchte Lehmann mit allen Mitteln, mich nicht in seine Karten schauen zu lassen. «Er tat immer geheimnisvoll. Ich wußte nie, was er machte», erzählte seine Frau einmal. Daß ich die Abwehr durchbrach, lag an den Erfolgen meiner archäologischen Methode. Ich grub aus Zeitschriften und Zeitungen so viele Sachen aus, die Lehmann selbst vergessen hatte, daß er mir dann doch das eine oder andere Tagebuch gab und mich mit Briefen und Manuskripten nach Hause fahren ließ. Zweimal schien ich ihn besonders beeindruckt zu haben. Das eine Mal umarmte er mich, als wir auf Kuckuck im Herbstmond zu sprechen kamen; es ging dabei um die vorletzte Zeile «Als er nach Syrien zog», die im Erstdruck 1929 gefehlt hatte und die ich als Clou bezeichnete.
Das andere Mal zeigte ich ihm einen Aufsatz von Ernst Bloch aus der Frankfurter Zeitung von 1932, der das Gedicht Altjahrsabend als «Kalenderbild ohne noch gewordenen Raum» vom Stilleben abgrenzte. Welche Aufschlüsse Lehmann das gab, weiß ich nicht, doch diese beiden Funde mußten ihn veranlaßt haben, in mir seinen künftigen Nachlaßverwalter zu sehen. Was er wirklich von mir dachte, konnte ich später seinen Tagebüchern entnehmen. Ziemlich wirr im Kopf hatte ich für eine Studentenzeitung Peter Huchels Chausseen Chausseen gefeiert, wobei ich mich mehr mit dem Schicksal des von der DDR unter Hausarrest gestellten Lyrikers als von der wirklichen Qualität der Bilder leiten ließ; Lehmann notierte «Pfui Teufel, Herr Schäfer» und korrigierte mein Urteil in der Deutschen Zeitung; der Artikel Maß des Lobes fiel mir erst nach seinem Tod beim Einpacken der Bibliothek für das Marbacher Literaturarchiv in die Hände. Eine weitere Erinnerung betrifft einen Ausruf vor einem Wahlplakat mit dem Bild Ludwig Erhards, der laut zu hören war und in dem Lehmann versicherte: «Dieses Arschloch wähle ich nicht!» Anschließend bestellte er im Ratskeller zum Abendessen einen Camembert und zwei kleine Pils.
Damals muß das Geständnis eigener Schreiberei über meine Lippen gekommen sein; Lehmann lobte mich, daß ich der Versuchung widerstanden hätte, ihm die Gedichte zu schicken. In der Erinnerung ist noch ein Sommertag haften geblieben, wir saßen im Strandkorb, der an der Hausmauer stand; während ich die Gladiolen und Dahlien betrachtete, erzählte er von seinen Angewohnheiten, nach Lesefrüchten zu forschen; alte Ausgaben französischer oder englischer Zeitschriften und Zeitungen hätten während des Dritten Reichs seine Stimme am Leben gehalten; wir sprachen über Max Jacob, Jules Renard; Lehmann ging ins Arbeitszimmer zurück, um die Essaysammlung Sacred Wood zu holen, die ihm Eliot in den zwanziger Jahren geschickt hatte. Später kramte er sein vorletztes Zusammentreffen mit Loerke auf der Insel Sylt 1936 hervor; Austernfischern, die schwarzweißrot ihre Schnäbel in die Priele des Wattenmeers tauchten, habe er zugerufen: «Ihr seid vernünftiger als die Menschen! Ich bin damit einverstanden, wenn ihr die Herrschaft bekommt.» Als mich Lehmann einmal zum Bahnhof brachte, fragte ich ihn, weshalb er Bäume vom Wind so erotisch durchbeben lasse, das sei Teil seiner Existenz, dann erzählte er von Goldfischen, die er als Kind im Keller gehalten hatte, um sich an der Wildheit ihres Hochschnellens zu erfreuen, schließlich gestand er, daß ihn der Anblick eines Frauenknöchels im Berliner Kolleg von Georg Simmel fast eine Ohnmacht gekostet habe, er sei nur ganz kurz zum Vorschein gekommen. Während der Zug einfuhr, sprang plötzlich der Koffer voller Handschriften und Verlagsabrechnungen auf, wir beide taten uns schwer, die von einer Ostseebrise umhergestreuten Blätter einzusammeln, ein paar Reisende sahen aus den Fenstern zu uns auf den Bahnsteig herunter, und der Stationsvorsteher ließ den Zug erst weiterfahren, als ein Paketband den Koffer mit all seinen Papieren verschürt hatte.
Es war an einem heißen Julitag, erschöpft kam ich aus einem Seminar über Otfrid von Weißenburg und ging, wie ich es manchmal tat, zur Buchhandlung Wolf in der Brunswiker Straße; ich wollte mit irgendjemand reden und vielleicht eine Tasse Eistee trinken, der dort kostenlos ausgeschenkt wurde. Frau Wolf war über sechzig und trug ein geblühmtes Sommerkleid, das nach muffigem Schrank und darin vergessenen Keksen roch; sie bewegte sich ziemlich schwerfällig durch ihr Bücher-Chaos und forderte mich auf, am Abend doch einmal ihren literarischen Zirkel zu besuchen. Als ich die Wohnung betrat, war der moderne Lyriker schon da, er saß mit seiner Frau auf dem Biedermeiersofa, neben sich Caddy, eine schmale Beddlingtonhündin, die in ihrer Schreckhaftigkeit gut zu seinen Augen paßte, die dicke Brillengläser vergruben. Er war etwa zehn Jahre älter als ich, und verschwendete viel Energie darauf, sein Wissen in komplizierten Sätzen wie unter Zwang in die Öffentlichkeit zu stülpen; da er in Zeitungsartikeln, die er vorlas, Stellung gegen die funktionale Denkweise bezog und vom Sohn der Buchhändlerin und dessen Freunden verhöhnt wurde, empfand ich bald eine tiefe Sympathie für ihn, ohne daß mir bewußt wurde, daß er ähnlich schematisch wie seine Gegner zur Werke ging. Es konnte vorkommen, daß er seine Vorlieben wechselte; ich erinnere mich an ein Gedicht von Huidobro aus dem Jahr 1917, nach dem er jedenfalls damals eine Menge eigener Stücke zusammenbastelte:
In den Wolkenkratzern
Steigen die Aufzüge wie die Thermometer
Und beim Niagara
Der meine Pfeife gelöscht hat
Schau ich die bespritzten Sterne an
Der Cowboy
Überquert den Ohio
Auf einer Geigensaite
Oft bin ich in der peinlich aufgeräumten Dachgeschoßwohnung gewesen, wo das Ehepaar eine lyrische Werkstatt betrieb, denn auch die Frau hatte begonnen, Gedichte herzustellen, die sie ehrlich mobiles nannte, zusätzlich hielt der Mann die Zirkulation der Produkte durch eine kleine Rezensionsfabrik in Gang; er habe für seine eigenen Bücher «mehrere tausend» Besprechungen erhalten, soll er kürzlich stolz erklärt haben. Manche Arbeiten sind nicht ohne Witz und erinnern an Masken, aus deren leeren Augenhöhlen Euphorisches leuchtet. Um das Pastiche zu verheimlichen, täuschte der Dichter Botschaften aus dem Unterbewußtsein vor, übrigens glaubte er selbst an das Blendwerk, und auch ich ließ mich zeitweise von seinem Wahn einspinnen. Im Rückblick sieht es so aus, als ob die Lyrik damals buchstäblich im Sande verlief, Konsonanten und Vokale wurden zu Trichtern gruppiert oder man kultivierte die Masche, ganze poetische Gebilde zu wenigen Zeilen zu verknappen. Allein aus den USA schienen damals noch Stimmen von frühlingshafter Frische zu kommen; der moderne Lyriker zeigte mir Gedichte Creeleys, Ferlinghettis und Olsons sowie die zweisprachige Auswahl von Wallace Stevens Der Planet auf dem Tisch. «Genau beobachten ist gleichbedeutend mit genau denken», las ich dort und «Das Reale ist nur die Basis. Aber es ist die Basis»; mir imponierte die Art, mit der Stevens die Sachen, so wie sie sind, zur Sprache brachte, er wollte Getrenntes miteinander in Beziehung setzen und den Leser — aus den Erfahrungen heraus — in einen geistigen Raum heben. Damals starb mein Vater während unseres Urlaubs in Locarno; ich schwamm, als das Telefon vom Balkon herunter auf den sonnendurchstrahlten See klingelte; der Schock dieser Todesnachricht riß die Sperre weg, welche mich bisher von der Erfahrung des Lebens abgehalten hatte. Mich erfüllte trauernd eine ungewohnte Befriedigung, als ich jetzt Zeilen wie diese aufschrieb:
Die Fische im Korb atmen nicht mehr.
Die Angler halten die Ruten schräg.
Die Angler, die ihren Gedanken nachhängen,
Ihre Jacken sind verblaßt wie die Briefe,
Die meiner Mutter Mutter in das Buch
«Blumen und Früchte deutscher Dichtung» legte.
Der Regen hat die Gartenstühle glasiert
Und die Gondeln der Bergbahn zwischen den Bäumen u.s.w.
Zu diesen Sätzen hatte mich eine alte Gedichtsammlung inspiriert; warum mich die braune Tinte eines Briefes, der zwischen den Seiten lag, an die Jacken von Anglern denken ließ, weiß ich nicht mehr. Auf alle Fälle spielten Altenbergs See-Ufer-Stücke eine Rolle und sicher auch W. C. Williams, weil ich die Gartenstühle nach seiner Art vom Regen behandeln ließ. Von dem Schriftsteller bekam ich die Anschrift Dieter Leisegangs, der damals zusammen mit dem Typographen Horst Heiderhoff die Reihe Das Neueste Gedicht herausgab; nach zwei Wochen wurde das Manuskript angenommen. Ich fand es herrlich, ein Buch zu veröffentlichen und war, was die eigene Kraft betraf, naiv. Leisegang wußte um die Kluft, die sich zur alten Hochkultur aufgetan hatte. «Es gibt keine neuen, durchweg originalen Stilmittel mehr», notierte er damals. «Heute kommt es auf feinste Strukturveränderungen an. Stil ist zur Parodie auf ihn geworden.» Die Kürze seiner Gedichte war keine Attitüde, sondern Abbild der «allereigensten Enge».
Einmal schrieb er mir aus der Schweiz, wo er eine Lungentuberkulose auskurierte, in winziger Handschrift, daß sich von seinem Bett aus nicht viel Welt entdecken lasse, nur ein «bißchen Schnee im Ausschnitt, ein Stückchen Berg mit obligatorischem Himmel dazwischen», er «spüre die Stille etwa viel lebhafter auf dem Frankfurter Hauptbahnhof (lebhafter und bestürzender!) als hier in Davos». Leisegang verfaßte «lauter letzte Worte». Für den 21. März 1973 gab er seine eigene Todesanzeige mit dem Namen des kleinen Sohnes als einzigen Hinterbliebenen auf, um sich — wie er in einem Gedicht angekündigt hatte — «den ganzen Klimbim / Aus dem Hirn» zu schießen. Das Neueste Gedicht brachte späte Arbeiten des Expressionisten Wilhelm Klemm und Christine Lavants Buch Hälfte des Herzens; vorbildlich waren die zweisprachigen Ausgaben u. a. von Auden, Hart Crane, Marianne Moore, W. C. Williams, MacLeish, Montale, Elytis und Seferis; die Reihe wurde von J. G. Bläschke verlegt, zu dem sich schon früher Arno Schmidt mit seiner Fouqué-Biographie und Max Bense verirrt hatten. Der Verleger verdiente sein Geld mit Erotica, schlesischen Heimatbüchern und allerlei Lebenshilfen wie Mit 75 noch ein Jüngling und wie? Durch Heimsport zum Erfolg. Auch für der Frauen Jugend. Die anspruchsvoll gestaltete Reihe sollte Sonntagsdichter anlocken, die Bläschke gegen Bezahlung druckte. Die Veröffentlichung meines Bändchens Fiktive Erinnerungen verzögerte sich ausgerechnet bis 1968 — kaum war ich als Lyriker auf die Bühne getreten, rauschte der Vorhang herunter, und die Leute pfiffen auf meine Art, die Welt zu betrachten.
Da Wodtke verschwunden blieb, mußte ich im Herbst 1966 meine Doktorarbeit dem berühmten Goetheforscher aushändigen. Als Vorbereitung zur Prüfung empfahl er mir, in sein Hauptseminar zu kommen, wo er mich das Versmaß zu einem Barockgedicht auf den Tisch klopfen ließ. Ich verberge nicht, einen gewissen Sadismus an ihm entdeckt zu haben, seine Augen schienen sagen zu wollen: «Außerhalb der Moderne bist Du mit Deinem Latein am Ende!» Nach einigen Wochen fuhr er nach Eckernförde, um meine Arbeit kurze Zeit darauf mit einer mäßigen Beurteilung weiterzuleiten. Bei der Korrekturbesprechung brachte der Goetheforscher einige sprachliche Verbesserungen vor, er schien völlig uninteressiert und zeigte nur einige Erregung, als er auf ein Zitat über die Zeitschrift Das innere Reich zu sprechen kam, sie sei «betont gegen die Emigration gegründet» worden und habe das Deutsche ins Programm geschrieben. «Niemand weiß, wie es damals wirklich war. Die Zeitschrift wurde von Goebbels verboten. Warum haben Sie das zitiert? Gundolf sagt, man solle nur das zitieren, was schön sei.» Im übrigen habe es 1933 noch gar keine Flüchtlinge gegeben.
Ich erwiderte, man müsse die Stellen nach ihrem Wahrheitsgehalt überprüfen und erwähnte Benns Brief an die Emigranten. Darauf brach der Goetheforscher das Gespräch ab und ging wieder zu Stilfragen über. Er allein hätte mich nicht in Verzweiflung stürzen können, zumal ich bald ein paar Dummheiten entdeckte, die er im Inneren Reich veröffentlicht hatte. Nach anfänglicher Begeisterung begann sich Lehmann von meiner Arbeit zu distanzieren; noch heute durchfährt mich ein Schreck, wenn ich an seine Telefonstimme denke, mit welcher er die «geglückten» von den «mißlungenen Kapiteln» trennte, die er meiner jugendlichen Unerfahrenheit zugute hielt — aus dem Tagebuch erfuhr ich später, wie sehr ich ihn durch die Kritik an zwei späten Romanen gekränkt hatte. Mein Kopf war wie betäubt, mit einem Schlag ließ ich die Vorbereitung für die mündliche Prüfung fallen und streifte ziellos durch den Herbst und Winter. Einmal am Abend traf ich an einer Haltestelle den Goetheforscher: «Sie müssen sich entscheiden, ob Sie Lyriker oder Wissenschaftler werden wollen!» Es kam mir vor, als schlüge er beim Reden ein Pfauenrad und lachte sich heimlich ins Fäustchen. Die Besuche in Eckernförde hatten trotz Lehmanns Ablehnung von Teilen der Arbeit keine Unterbrechung erfahren; einmal sprach er von Halbgebildeten, die auf einem Grat wanderten: «Sie sind oft wichtiger als die Dichter, die es leichter haben, weil sie sprechen können»; ein anderes Mal behauptete er, an der Physiognomie der meisten Professoren erkenne man, daß sie dumm seien; Gesprächen über Eichendorff und Mörike ist es zu verdanken, daß ich bis heute das Fortschrittsdenken aus der Literatur verbannt habe; «es gibt Kunst oder keine», pflegte Lehmann zu sagen. (Gestern las ich in dem soeben von Reinhard Tgahrt herausgegebenen Buch Was sich nicht ändert, daß er diese Sentenz Loerke verdankte, der auf Rudolf Borchardt zurückgegriffen hatte: «Kunst ist Kunst, sonst nichts. So wie Mohammed sagt: Allah ist Allah»). Überraschenderweise schrieb Lehmann für Fiktive Erinnerungen ein kleines Nachwort; ob ihm die Gedichte wirklich gefielen, weiß ich nicht; vielleicht wollte er nur helfen, mich aus meinem «zustandslosen Zustand» zu befreien. «Gäbe es nicht, allem Drunter und Drüber des Maßlosen, allem Kommerz, aller Technik, aller Politik zum Trotz, im Menschen eine Zone des Vorsichhinsinnens, eine Bereitschaft, sich den ihn umgebenden Erscheinungen des natürlichen Daseins zurückzugeben, wäre lyrische Dichtung unmöglich», las ich dort. «Dichtung bedeutet nicht Schwäche, sondern höchste Tatkraft. "Energy is eternal delight"!»